
Rezension "Why we matter - Das Ende der Unterdrückung"
Gelesen zum Teil als EBook, zum Teil als Hörbuch gehört.
Das Buch beginnt wie viele andere Sachbücher zum Thema Unterdrückung, Vorurteile und Gesellschaft in einer klugen Verbindung aus Fakten, Geschichte und der persönlichen Lebenserfahrung der Autorin, deren Familiengeschichte mit Erfahrungen aus den Bereichen Rassismus, Sklaverei aus Opfer- und Tätersicht, sowie Antisemitismus und der Verdrängung eigener biografischer Daten gespickt ist. Das Besondere an diesem Buch ist für mich, dass es der Autorin gelingt weit über die eigenen Erfahrungen hinauszugreifen und sehr viele, vielleicht sogar sämtliche Bereiche, in denen Menschen in Akzeptanzhierarchien eingeteilt werden zu behandeln.
Armut, Behinderung, Geschlecht, sexuelle Ausrichtung, Hautfarbe oder Zugehörigkeit zu ethnischen und kulturellen Gruppen werden einzeln und in Kombination betrachtet und hinsichtlich der kulturellen und wirtschaftlichen Einordnung beleuchtet.
Manche Inhalte waren bekannt, doch an vielen Stellen wurde ich überrascht. So wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, dass sowohl weibliche als auch farbige Patient*innen in der Medizin über den bekannten Wissensmangel durch fehlende Studien hinaus auch durch Vorurteile bezüglich des Umgangs mit Schmerz oder dem vermuteten Wahrheitsgehalt zu Symptomen o.ä. unterschiedlich kompetent versorgt werden.
Auch die Kapitel zum Thema Armut und der gesellschaftlichen Relevanz einer möglichen Abschaffung von Lohnarbeit sowie das Kapitel zum Thema Sexarbeit und die Abwägung von Vor- und Nachteilen der verschiedenen Arten damit rechtlich umzugehen, hat mich sehr überzeugt.
Das Beste an diesem Buch war aber, dass einmal nicht eine Betroffene zwar den Rahmen aufzeigt, uns andere aber damit schuldig spricht, sondern dass wir alle in unterschiedlichem Maße Betroffene und Täter in einer Person sind. Durch die Personengruppen, denen wir angehören, sind wir alle im System teilweise bevorzugt und teilweise benachteiligt und dennoch selten in der Lage - da nimmt sich auch die Autorin in keiner Weise heraus - niemals gedankenlos andere Gruppen herunterzureden. Das intelligente Buch zeigt Ansätze auf wie Sprache, gesellschaftliches Verständnis und mittel- bis langfristig gesellschaftliche Änderungen unser aller Unterdrückung und Herrschaft aufheben und ausgleichen könnten.
Das Hörbuch wurde von der Autorin selbst gesprochen, die einen reizenden französischen Akzent hat, der ihrer Lesung eine zusätzliche Athentizität verleiht. Sie liest sehr professionell, obwohl deutsch nicht ihre Muttersprache ist. Leider habe ich durch einen leichten Hörfehler aber nur den inhaltlichen Teilen gut folgen können. Referenzen mit Namensnennungen usw. waren für mich im Hörbuch leider nicht verfolgbar, da ich dank Netgalley zusätzlich das EBook habe, habe ich diese dort gegenlesen müssen.
Das Buch möchte ich mit 5 Sternen bewerten, das Hörbuch wegen der Verständnisschwierigkeiten ein wenig schwächer, aber nicht schwach genug um nur 4 Sterne zu vergeben.