
VOX, Christina Dalcher
Erscheinungsdatum 15.8.2018
gelesen dank Netgalley als ebook (Kindle)
Genre: Dystopie, Feministischer Roman
In einem Amerika der ganz nahen Zukunft, nur ein oder zwei Präsidenten von jetzt, ist die Stimme der Regierung ein Prediger, der zurück in eine Gesellschaft möchte, die es nie gegeben hat.
Manche Gesellschaften haben Frauen aus der Sicht genommen, aber ihnen im Unsichtbaren immer noch Rechte und Kontakte gelassen, in diesem Buch ist die Sprache beschränkt: 100 Worte am Tag für jede Frau und jedes Mädchen, gesprochen, denn geschrieben und gelesen wird ganz entzogen. Zunächst schildert der Roman die Frage, was dies mit einer intelligenten Frau macht und schlimmer, wie ein Kind in dieser Struktur sich entwickelt.
Hier sehe ich auch die ganz große Stärke der Autorin, in einfacher Beschreibung der Familiensituation in den unterschiedlichen Gesprächsstrukturen mit Söhnen und Tochter das Grauen einer solchen Entwicklung ganz nah kommen zu lassen. Die Ich-Erzählerin hat den großen Vorteil, dass ihre wissenschaftliche Forschung gebraucht wird und bekommt dadurch Möglichkeiten und Einsichten, die anderen Frauen verwehrt bleiben.
Das Faszinierende an dem Buch ist, wie schnell diese gesellschaftliche Umwälzung für viele Menschen ganz natürlich wird, wie Männer und Jungen entweder überhaupt nicht mehr verstehen, was an dieser Situation gefährlich und unnatürlich ist oder auch ganz einfach die eigene Hilflosigkeit so lange kultivieren, bis das ganze Leben sich verändert hat.
Das Buch verbleibt in der ganzen Geschichte logisch und strukturiert, der Ablauf des Geschehens hat leider weniger Überraschungen als möglich, da die Ich-Erzählerin direkt am Anfang spoilert. Aber viele Personen sind nicht wie es den Anschein hat und Andere überraschen durch Lernfähigkeit.
Außer, dass der Einstieg ein wenig viel Andeutungen zum Verlauf enthielt und sich am Ende die Handlung etwas sehr überschlägt und dadurch Handlungsstränge mehr oder weniger in Nebensätzen abgehandelt werden, hat mir das Buch rundum gut gefallen.
Die Vorstellung nach dem Willen eines Sektenführers/evangelikalen Hasspredigers zur minderwertigen Hälfte der Menschheit gerechnet zu werden und seine Moralvorstellungen leben zu müssen, da sonst die Wortzahl auf 0 heruntergesetzt wird, beängstigt nicht weniger als ein technisches Gerät, dass einen Selbstmord durch ein Diktiergerät erlaubt.
1984 war beängstigend, aber die Technik ist mehr als 3 Jahrzehnte weiter. Damals wurde die Sprache vergiftet, hier wird sie ausgelöscht. Weitergedacht entsteht für mich in dieser Kultur die Frage: Was wäre mit der zweiten Generation? Wie lernen Jungen denken, wenn ihre Mütter nicht mit ihnen sprechen dürfen? Mädchen wären ja sowieso verloren....