
Das Schicksal der Drachentöchter, William Andrews
gelesen dank Netgalley im April 2018 als ebook (kindle)
Genre: Historischer Roman
Romane, die tiefere Einblicke in das Leben in China und Japan bieten, lese ich schon seit Jahrzehnten mit Begeisterung. Auch andere asiatische Länder habe ich in diesem Zusammenhang gestreift und gerade die Bücher, die in vergangenen Zeiten in diesen Gegenden spielen, faszinieren mich. Da bot sich auch dieses Buch an, bei dem mich schon das Cover besonders ansprach, vor allem, da Korea für mich doch ein ziemlich weißer Fleck auf meiner lesenden Landkarte ist.
"Das Schicksal der Drachentöchter" beginnt mit der Reise von Anna, einer in Amerika adoptierten Koreanerin, die nach dem Tod der Adoptivmutter ihre Wurzeln sucht und die leibliche Mutter kennenlernen möchte. Statt dieser lernt sie eine alte Frau, ihre Großmutter kennen und bekommt nicht nur einen außergewöhnlichen Kunstgegenstand, sondern auch eine ganz besondere Lebens- und Leidensgeschichte an der Geschichte Koreas entlang erzählt.
Die Großmutter, Frau Hong wurde im zweiten Weltkrieg von den Japanern als "Trostfrau" mißbraucht und überlebte diese Zeit nur knapp, bevor sie danach in Nordkorea als Übersetzerin arbeitete. Auch in der Folge verläuft ihr Leben innerhalb der geschichtlichen Verwerfungen der Geschichte Koreas. So hat sie ihrer Enkeltochter eine Aufgabe und eine Verbindung zu ihrem Herkunftsland zu geben aus der Wege in deren Zukunft führen.
Das Buch schildert schonungslos direkt, notwendig aber nicht übertrieben grausam das überaus dunkle Kapitel des Leidens zahlloser asiatischer Frauen unter dem japanischen Heer. Obwohl der Autor als Amerikaner einer völlig anderen Kultur entstammt, versucht er sich mit dem Blick von innen heraus (Großmutter) gleichermaßen wie von außen darauf (Enkelin). Die geistige Haltung der eigenen Scham und Schande, der Zwiespalt zwischen der aufgewendeten Kraft zu überleben und der Mischung aus Verzweiflung und Bürde entwickelt eine ganz eigene Kraft. Die Trostfrau ist gezwungen ihre Geschichte zu verheimlichen um nicht nach ihrem Leiden aus der Gesellschaft ausgestoßen zu werden. Später als Mutter muss sie versuchen einen Mann zu finden um durch einen Familienstammbaum der Tochter den Schulbesuch zu ermöglichen. Leid und Qual die zugefügt wurden und im Kindesalter zuschlugen verurteilen in den Augen der Mitmenschen zu einem Leben außerhalb der Gesellschaft.
Aber sie ist stark, talentiert, mutig und für ihre Gesellschaft unkonventionell. An dieser Stelle ist die alte Frau Hong nicht das Bild einer typischen koreanischen Trostfrau, die überlebt hat, sondern wird in der Betrachtung des Autoren zu einer mythischen Heldin. Sie ist besonders schön, besonders wenig betroffen von dauerhaft körperlichen Folgen durch Geschlechtskrankheit oder Schwangerschaft und Abtreibung. Sie ist intelligent, belesen, eine gute Gesellschafterin, so talentiert für Sprachen, dass sie (und später die Enkeltochter) in unnatürlich kurzer Zeit neue Sprachen fehler- und akzentfrei lernt.
Das Buch erzählt nicht nur die Geschichte Koreas inklusive der besonders dunklen Kapitel, nein es baut zusätzlich einen mythologischen Überbau, indem es die beiden Frauen in all der logischen und erklärbaren Entwicklung in den Kontext der koreanischen Mythologie einbaut. Der Drachenkamm und seine Bedeutung, die sich im Laufe des Buches erschließt macht aus der reinen Geschichte eine Mythologie ohne sich festzulegen. War es Zufall, dass der Kamm wundersamerweise nie verloren ging? Dass er an einigen Stellen seiner Geschichte Auswege zeigte, dass er eindeutig nach und nach die Herkunft erklärte?
Das Besondere an diesem Buch ist seine Nähe zu anderen Geschichten aus dem asiatischen Raum. Nicht der Inhalt, der war für mich neu und unbekannt, aber die Art wie die beiden Heldinnen subtil aufgebaut wurden, wie wundersame Eigenschaften von Gegenständen und herausragende Talente und Eigenschaften in den Raum gestellt wurden, ohne sich festzulegen, was davon tatsächlich geschieht und was nur der Fantasie entsprang, hatte manche Ähnlichkeit mit einzelnen traditionellen chinesischen Geschichten und auch anderen, die ich über die Jahre gelesen habe.
Der Schreibstil von Herrn Andrews ist recht einfach, stellenweise spröde, aber ob dies seine Schreibe oder die Übersetzung verursachte, kann ich nicht sagen -die Fortsetzung werde ich um dies festzustellen wahrscheinlich auf englisch lesen. Seine Recherche und seine historischen Belege, wie sie im Nachwort zu finden sind, sind fundiert und gehaltvoll.
Das Buch ist insgesamt sehr gut lesbar, wenn es sich auch im Mittelteil etwas zieht. Die Thematik ist wichtig, die Hauptpersonen sind gut ausgebildet und wo sie uns stückweise schattenhaft erscheinen, vermute ich dies mit Absicht angelegt um die Regeln und Vorgaben der koreanischen Kultur, die sich im Verhalten und Denken wiederspiegeln, auszudrücken. Nebenfiguren sind in großen Teilen eher schwach angelegt, nur die wirklich notwendigen Charakterzüge sind dargestellt. Dies kann so verstanden werden, dass der Autor es nicht besser beherrschte, ich vermute aber auch hier Absicht.
Laut Klappentext ist Herr Andrews der koreanischen Kultur durch seine Adoptivtochter verbunden, warum sollte er da nicht auch Stilelemente der Literatur in einen ansonsten amerikanisch geschriebenen Roman eingebunden haben.
Für mich hat dieses Buch eine Leseempfehlung für:
* historisch interessierte Menschen mit Themenschwerpunkt 3. Reich, asiatische/koreanische Geschichte
* Menschen, die mythologisch geprägte Geschichten mögen und Zugang zu verschiedener asiatischen Literatur haben
* Menschen, die das Thema Frauenrechte, Gewalt gegen Frauen usw. interessiert
* Leser (ich hasse Genderendungen), die unkonventionell starke Frauengestalten schätzen.
Zu einem "großen" Buch ist noch ein wenig Luft nach oben. Daher nicht ganz die volle Punktzahl, aber eine uneingeschränkte Leseempfehlung.
#DasSchicksalDerDrachentöchter #NetGalleyDE