
Jonahs Versprechen
Gelesen dank PrimeReading als ebook (Kindle) im April 2018
Genre: Historischer Roman, Belletristik
Stichworte: Drittes Reich, Judenverfolgung
Die Geschichte beginnt mit einer Rahmenhandlung, die Ich-Erzählerin Marie, Intensivpflegerin auf einer Station für Komapatienten, erzählt aus ihrem Alltag. Verknüpft damit ist ihre persönliche Geschichte, sie wuchs in einem Waisenhaus auf, nachdem sie mit 4 Jahren im Schlafanzug auf der Straße gefunden wurde und weiß auch mit 25 noch nichts über ihre Herkunft.
Marie ist eine der Pflegerinnen, wie sie sich die Patienten wünschen, sehr liebevoll geht sie intensiv auch auf die langjährigen Komafälle ein. Sie redet mit ihnen, spielt Musik ab, die ihnen gefallen könnte und strahlt eine Einstellung aus, die nie akzeptiert, dass diese Menschen wahrscheinlich nie wieder aufwachen. Sie arbeitet überwiegend, später ausschließlich in der Nachtschicht und findet erstaunlich viel Zeit und Verständnis zumindest eines Arztes dafür, wenn sie länger am Bett eines Patienten sitzt und mit ihm redet. An dieser Stelle fand ich die Geschichte extrem unglaubwürdig. Nach meiner Erfahrung auf einer Intensivstation gab es nie Zeit um nicht medizinisch oder pflegerisch notwendige Zuwendung zu geben oder auch nur ein minimales Gespräch zu führen. Hier ist die Arbeitsstelle schon sehr ideal dargestellt.
Als ein neuer Patient, ein älterer Herr, eingeliefert wird, beginnt sich die Hauptgeschichte zu entwickeln. Der Patient ist gestürzt, komatös und hat außer einem Tagebuch nichts Persönliches dabei. Ein Arzt liest das Tagebuch, kommt mit Marie ins Gespräch und erlaubt ihr dem Patienten aus dem Buch vorzulesen, später auch das Buch mit nachhause zu nehmen und dort weiterzulesen.
Marie verteilt die Lektüre auf viele kleine und kleinste Stücke und erfährt nach und nach von den beiden jüdischen Jungen Jonah und Elias, die im Rahmen der Abtransporte in die Vernichtungslager fliehen konnten. Marie nimmt die Geschichte extrem mit, sie zieht Analogien zu ihrer eigenen Verlassenheit und findet aus diesen Gefühlen heraus die Kraft mehr über ihre eigene Vergangenheit herauszufinden.
Einerseits hat mir die Vernetzung der beiden Handlungsebenen sehr gut gefallen, Maries Entwicklung von der Einzelgängerin, die sich von Kontakten zur Außenwelt fernhielt zu einer Person, die dem Leben offener gegenüber steht, war nachvollziehbar. Unglaubwürdig waren die Arbeitsbedingungen, da einfach zu ideal und ich bin froh, dass die Möglichkeit aus dem Koma zu erwachen nicht zu massiv in die Geschichte eingebaut wurde.
Die extreme Gefühlsreaktion von Marie auf das Schicksal der beiden Jungen, führte für mich zu der Frage ob ich inzwischen durch zahlreiche Lektüre zu diesem Thema abgestumpft bin und es beim ersten Lesen wirklich zu so vielen Gefühlsausbrüchen einer erwachsenen unbeteiligten Leserin kommen kann. Ich hatte mich eigentlich nicht für gefühlskalt gehalten, habe aber die ersten harten Schicksalsberichte mit 14 gelesen und musste nie für Tage unterbrechen. Ich denke eine so gefühlsbetonte Leserin hätte, trotz des Interesses mehr über den Patienten zu erfahren, nicht weitergelesen.
Bei der Geschichte der beiden jüdischen Jungen hätte ich gern in einem Nachwort erfahren, welche der zugrundeliegenden Ereignisse und Personen geschichtlich fundiert sind. Ohne die Fakteninformation was erfunden und was belegbar ist, verliert das Thema für mich ein wenig an Relevanz und kann zu leicht als „nur eine Geschichte“ beiseitegeschoben werden.
Die Geschichte der Herkunft von Marie fand ich ein wenig dick aufgetragen, die Erbschaft, Erinnerungsfetzen im Elternhaus, der alte Freund der Familie, nach 19 Jahren Verlassenheit im Waisenhaus ist mir das einfach zu viel und weder für die Geschichte noch für die Personenentwicklung in der Stärke nötig. Für mich wäre weniger hier mehr gewesen. Bis zu einem gewissen Grad gilt das auch für die Familiengeschichte des Patienten und die mögliche Liebesgeschichte.
Es ist alles gut lesbar, es hat Unterhaltungswert und gerade dadurch schwächt es die Intensität von Flucht, Verfolgung, Leid ab, weil diese immer wieder in den Hintergrund geraten.
Vielleicht sollte ich beim Thema 3. Reich die pädagogischen Aspekte der Erinnerungsvermittlung nicht so sehr in den Vordergrund setzen und stattdessen auch diesen Themen erlauben Teil von Unterhaltungslektüre zu werden.
Alternativ wäre ein Anhang oder Nachwort mit Quelleninformationen oder zumindest Hinweisen über den Wahrheitsgehalt der nachprüfbaren Teile der historischen Geschichte eine wertvolle Ergänzung.
Ohne die Berücksichtigung der Relevanz des geschichtlichen Teils ist das Buch gut lesbar geschrieben, die Personen sind ansprechend ausgestaltet, auch Nebenfiguren erreichen eine sinnvolle Tiefe der Persönlichkeit. Als reine Unterhaltungslektüre mit mehreren in sich verwobenen Themenebenen ist das Buch sehr schön und gut lesbar. Das Grauen ist notwendig, aber nicht übertrieben detailliert dargestellt. Ich habe das Buch als Ganzes mit Freude gelesen.